Samstag, 5. Juni 2010

Der Tod des Perikles, oder: Warum das Meiste im Kriege durch Klugheit und Geldüberfluss entschieden wird

Wahrscheinlich ist es im Sommer 431 vuz sehr heiß am Isthmos von Korinth, wo die Spartaner ihr Heer und das ihrer Verbündeten sammeln, um in Attika einzufallen. Es ist der Beginn einer der großen griechischen Tragödien, die das Land - kaum als Sieger aus den Perserkriegen hervorgegangen - verwüstete und nur Verlierer zurückließ. Die Spannungen zwischen den Protagonisten Sparta und Athen hatten sich über Jahre aufgebaut. Jetzt entlädt sie sich in einem absehbaren Gemetztel.

Während sich die Gegner an der Grenze Attikas bereit machen, macht der wichtigste Feldherr der Athener, Perikles, dem Volk Mut - nicht nur, indem er ihnen die Stärke ihres Heeres und vor allem der Flotte vor Augen führt, sondern auch, indem er ihnen ihre schiere materielle Macht in Form ihres Goldes demonstrier. Thukydides berichtet ausführlich darüber. Laut Klaus Meister, Die finanzielle Ausgangssituation Athens zu Beginn des Peloponnesischen Krieges, im Tagungsbericht der Forschungsprojekt Antike Kriegskosten gibt die Stelle "einen umfassenden Überblick über die finanzielle Situation der Athener zu Beginn des Peloponnesischen Krieges". In Buch II 13, 2-5 spricht Thukydides Klartext:

"[Seite 365] ... Auch ermahnte er sie in Bezug auf die Gegenwart, wie schon früher, sich zum Kriege zu rüsten, und das Ihrige vom Lande hereinzuschaffen; nicht zur Schlacht auszurücken, sondern sich in die Stadt zu ziehen und diese zu beschützen, die Seemacht, worin ihre Stärke liege, in guten Stand zu setzen [Seite 366] und die Sache der Bundesgenossen in Acht zu halten, (Anm. 2: eigentlich "unter der Hand behalten, nicht aus der Hand lassen"; alternative Übersetzung: "sorgfältig zu beobachten") bemerkend, daß ihnen ihre Stärke von deren Geldbeyträgen erwachse, das Meiste im Kriege aber durch Klugheit und Geldüberfluß entschieden werde. Er hieß sie muthig seyn, da sechshundert Talente (Anm. 3: Das Talent bertug 1447 Thaler 16 Groschen sächsisch; oder 2605 Gulden 49 Kreuzer rheinisch.) an Steuern jährlich meist von den Bundesgenossen der Stadt zufließe, ohne die übrigen Einkünfte; auch seyen auf der Burg (der Akropolis, oho) noch dermalen an geprägtem Gelde sechstausend Talente vorräthig. Denn die größte Summe (dieses Schatzes) hatte zehntausend weniger dreyhundert betragen, wovon (ein Theil) auf die Vorhalle der Burg (vielleicht die Propyläen?, oho) und andere Gebäude, auch auf Potidäa war verwendet worden. Außerdem war an ungeprägtem Gold und Silber, an besondern und öffentlichen Weihgeschenken, an heiligen Geräthschaften zu Festaufzügen und Kampfspielen, und an Medischer Beute und was sonst dergleichen nicht weniger, als fünfhundert Talente vorhanden. Auch rechnete er noch dazu die nicht unbedeutenden Schätze von andern Heiligthümern, deren sie sich bedienen könnten, und, wenn sie durchaus von allem entblößt wären, des goldenen Belegs der Göttin (Minerva {Athene, oho}) selbst, wobey er zeigte, daß die Bildsäule vierzig Talente geläuterten Goldes (Anm. 4: Das Goldtalent betrug ohngefähr an Werth 33,875 Gulden rheinisch, folglich machte das Gold an der Minervens Bildsäule zusammen genommen gegen 1,1355,02 rheinische Gulden aus. Alternative Übersetzung zu "geläutertem": ungekochtes Gold) an Gewicht habe, und daß dieß ganz abzunehmen sey. Nur, hätten sie es zu ihrer Rettung gebraucht, fügte er hinzu, müßten sie es nicht geringer wieder ersetzen. (Anm. 5: über den Wert des Goldes an den Athena-Statue, s.u., oho.) [Seite 367] So machte er sie nun durch die Schätze muthig

Übersetzung hier und später: Thuydides, Geschichte des Pelopponesischen Krieges, aus dem Griechischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Dr. Heinrich Wilhelm Friedrich Klein, Professor am Gymnasium zu Hildburgshausen, Erster Band I und II, München 1828

Sehen wir uns die Aufstellung im Einzelnen an:

600 Talente Steuereinnahmen jährlich, "meist von den Bundesgenossen"
6000 Talente "an geprägtem Golde", also Münzen, "auf der Burg"
500 Talente "an öffentichen Weihgeschenken, heiligen Geräthschaften"
40 Talente "geläuterten", also reinen und unegprägten Goldes = 1040 Kilogramm oder 32.347,6 Feinunzen (á 31,1 Gramm)

Die Frage, wie viel das alles aktuell Wert wäre, hat schon die Forscher des 19. Jhdts. uz umgetrieben. Die Diskussion führt Übersetzer Klein in der Fußnote 5 zum 13. Kapitel des II. Buches. Deutlich macht Klein dabei, das zwischen dem Gewicht /der Währung Talent und dem Wert des reinen Goldes an der Athena-Statue unterschieden werden muss. Was wie errechnet werden müsste, bleibt indes unklar.

Dort findet sich übrigens auch die Stelle, in der Plinius der Ältere (XXXVI 4,4) und Pausanias Periegetes (1,24,7) das goldene Gewand beschreibt, das die Bildsäule schmückte. Klein beruft sich auf den Gelehrten Gabriel Gottfried Bredow, wenn er zitiert, es habe sich um eine "bis auf die Füße reichende Tunica der Göttin" gehandelt, "nur daß man wohl nicht annehmen kann, es sei dieser Chiton (original in griechischen Buchstaben, oho) ganz und bloß Gold gewesen, in welchem Fall Werth nothwendig über eine halbe Million Thaler steigen müßte, es auch nicht als etwas Künstliches habe gerühmt werden können, daß man den Schmuck, das Gold, ganz habe von dem Elfenbein der Statue abnehmen können; sondern es war wohl auch der Mantel von Elfenbein, dieß aber mit Gold belegt. Denn wenn wir bey einer Statue von 39 Fuß (~ 13 Meter, oho) den Chiton auch nur fünf und zwanzig Fuß lang, gegen 6 Fuß breit, und nur Eine Linie dick das Gold annehmen; so erhalten wir doch einen Kubickfuß Gold (i.e. ~ 29 Kilogramm, oho) der 19 mal schwerer als Wasser 1330 Pfund wiegt, und der den Werth einer halben Million Thaler hat, was auffallend mit den 40 Goldtalenten übereintrifft. Wäre aber der Chiton einzig und bloß aus Gold gewesen, müßte dann das Gold nicht dicker als Eine Linie gewesen seyn?" Bredows Korrektur einer Übersetzung von Johann David Heilmann, Wien 1812, findet sich hier.

Für eine Überschlagsrechnung setze ich das Talent á 26 Kilogramm mit dem aktuellen Wert der Feinunze von rund € 1.000 an; es ist übrigens die höchste Summe, die für das Edelmetall seit Einführung der Gemeinschaftswährung 1999 gezahlt wird. Daraus ergibt sich für den Bestand - also ohne die jährlichen Steuereinnahmen: 6540*26*1000/31,1* € 1000 = € 5.467.524.115,76 - mithin knappe 5,5 Milliarden Euro. Die jährlichen Einnahmen hätten sich demnach immerhin € 501.607.717,04 belaufen. Das scheint nicht so ganz unrealistisch.

Und überrascht mich doch. Ich hatte in einer ersten Schätzung - ohne Rechnung oder auch nur Kenntnis des Talent-Kilogramm-Verhältnisses - eine Summe von 250 bis 300 Millionen Euro getippt. Entweder habe ich mich bei meiner Schätzung komplett verhauen. Dann mögen mir professionelle Althistoriker das nachsehen und dürfen gern auf meine Kosten lachen. Oder aber der Goldpreis ist tatsächlich ein über die Jahrhunderte weg annähernd gleichbleibendes Kaufkraft-Anzeiger; dann allerdings hätte erst sein jüngster Anstieg zu einigermaßen realistischen Werten geführt. Interessant wäre sicher ein Vergleich zu den Werten der von Klein genannten Preise Ende der 1820er Jahre.

Frappierend beschreibt Thukydides auch, wie die Athener ihren Tempel und die darin aufgestellte Statue der Athene als Sparschwein verwendeten. 40 Talente setzt Perikles ihm zufolge allein für das darin verarbeitete "geläuterte Gold" an, das "ganz abzunehmen" sei. Vielleicht hatte Phidias die Bildsäule von Anfang an für dieses Zweck genau so konstruiert. Wichtig natürlich auch Perikles' Hinweis, die Athener dürften nur unter äußerstem Zwang auf die Rücklage zugreifen - und natürlich müssten sie das Genommene nachher "nicht geringer wieder ersetzen, damit die Schutzgöttin der Weisheit nicht erbost zurückbliebe.

Nicht ganz klar geworden ist mir der Anfang der 13. Kapitels des II. Buches, wo es heißt:

"[Seite 356] ... (13) Während sich die Peloponnesier noch auf der Landenge versammelten und auf dem Zuge begriffen waren, ehe sie in Attika einfielen, vermuthete Perikles, des Xanthippos Sohn, der mit neun andern, Feldherr der Athenäer war, da er einsah, der Einfall werde erfolgen, daß Archidamos, der zufälliger Weise sein Gastfreund war, entweder um sich persönlich gefällig zu machen, seine Ländereyen vielleicht öfters (Anm. 1: alternative Übersetzung Bredows "daß nicht etwa gar") verschonen und nicht verheeren werde, oder auch auf Befehl der Lakedämonier, um ihm dadurch Verdacht zu erregen, wie sie auch die Vertreibung der Heiligthumsschänder seinetwegen befohlen hatten. Er eröffnete also den Athenäern in der Versammlung, daß Archidamos zwar sein Gastfreund wäre, doch solle dieß nicht zum Nachtheil des Staates gereichen: seine Ländereyen und Häuser, wenn sie die Feinde nicht ebenso, wie die Andern verwüsten würden, wolle er als Gemeingut ansehen lassen, und daraus solle ihm kein Verdacht erwachsen."

Handelt es sich bei besagtem Archidamos etwas um den spartanischen König, also um Perikles' direkten Gegenspieler? Ich habe die Geschichte zu wenig präsent, um darüber urteilen zu können. Möglicherweise werde ich das bei Gelegenheit einmal nachrecherchieren.

Die Athener jedenfalls, sie hielten sich an Perikles' Empfehlungen. Noch einmal kommt Thukydides zu Wort (II, 14):

"[Seite 367] ... Als die Athenäer das vernommen hatten, folg- [Seite 368] ten sie und brachten von dem Lande Kinder und Weiber, und das andere Geräthe, was sie in der Haushaltung brauchten, ja sogar von den Häusern, die sie niederrissen, das Holzwerk herein; Schaafe und Lastvieh aber schickten sie nach Euböa hinüber und auf die nahe gelegenen Inseln. Doch wurde ihnen, da die meisten gewohnt waren, immer auf dem Lande zu leben, dieser Umzug schwer. ... [Seite 369]


Wie es zum Synoikismos auf Attika kam, erzählt Thukydides im folgenden Abschnitt. Mir aber ist das hier erst einmal genug. Die Katastrophe nahm ihren Lauf: Jedes Jahr bis 428 vuz marschierten die Spartaner an, belagerten Athen erfolglos und zogen sich im Winter wieder zurück. Denn sie hatten zu Beginn des Krieges zwar die kleinere Streitmacht, konnte sich aber laut Thukydides auf ihre Übermacht zur See verlassen (II, 13):

"[Seite 367] ... Schwerbewaffnete aber hatten sie dreyzehn tausend ohne die in den besetzten Plätzen, und die sechszehn tausend bey der Schutzwehr. Denn so viele hielten anfänglich Wache, als die Feinde eindringen wollten, von den Aeltesten und Jüngsten (Bürgern) und Schutzgenossen, so viele davon Schwerbewaffnete waren. Denn die Phalerische Mauer (Anm. 6: alternative Übersetzung von Bredow) betrug fünf und dreyßig Stadien bis an die Ringmauer der Stadt, und dieser Ringmauer besetzter Theil drey und vierzig. Ein Theil derselben war auch unbesetzt, der zwischen der langen und der Phalerischen Mauer. Die langen Mauern aber nach dem Piräus hin, betrugen vierzig Stadien (~ 7 Kilometer, oho), was aber unter Wache stand, war nur die Hälfte davon. Die Reiterey gab er zu ein tausend zwei hundert an mit den berittenen Bogenschützen und Dreyruder, (Anm. 7: Bredow diskutiere, ob es sich tatsächlich um ein dreirudrigeres Schiff gehandelt habe; Polybios und Diodorus Siculus hätten später allgemein von "Kriegsschiffen" gesprochen) die fahrbar, drey hundert. Diese besaßen die Athenäer und nicht weniger in jeder Gattung davon, als der erste Einfall der Pelponnesier erfolgen sollte, und sie sich zum Krieg anschickten. Perikles sagte auch noch Anderes, wie er gewohnt war, zum Beweis, daß sie im Kriege siegen würden. ... [Seite 368]"

Der große Athener starb 429 vuz innerhalb der Mauern, wo eine Seuche grassierte. Angesichts dessen bleibt zweifelhaft, ob er recht damit hatte, dass "das Meiste im Kriege aber durch Klugheit und Geldüberfluß entschieden werde".

Freitag, 4. Juni 2010

Was der Krieg in der Antike kostete

Was die Antike betrifft, ist das Internet leider noch immer ziemlich leer. Zumindest, wenn man Inhalte sucht - nicht irgendwelche Bilder historischer Stätten - also meist Ruinen. Die sind Legion.

Deshalb freue ich mich, dass ich heute über Peter C. Nadig gestolpert bin. Ich habe von ihm das Buch Zwischen König und Karikatur: Das Bild Ptolemaios’ VIII. im Spannungsfeld der Überlieferung, (Münchener Beträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte, 97), München, C.H. Beck, 2007 gelesen. Ist schon eine Weile her, war ziemlich kompliziert. Hat mir aber - genau darum - gut gefallen.

Ausweislich dieser Internetseite arbeitet Nadig zurzeit in Erfurt (zuvor: Mannheim) an einem Projekt über die Kosten des Krieges in der Antike. Das ist doch schon Mal was:

"Im Krieg ist die Beschaffung von Geld (...) Gefährtin des Erfolgs."
(Diodor XXIX 6,1).


Hier findet sich der Tagungsbericht des Projekts mit vielen Vorträgen (unter anderem von Kai Brodersen) zu Einzelaspekten. Die Lektüre Wert.